27.04.2021

Testament und Erbe: Vererben und Pflichtteil in der Patchworkfamilie

Patchworkfamilien sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Wenn sich Eheleute trennen und anschließend mit neuen Partnern neue Familien gründen, ergeben sich die unterschiedlichsten Familien- und Verwandtschaftskonstellation. Dies hat große Auswirkungen auf den späteren Nachlass sowie die gesetzlichen Ansprüche auf Erbteil oder Pflichtteil.

Um eine geeignete Erbfolge für Patchworkfamilien festzulegen ist eine ausführliche und frühzeitige Beratung dringend anzuraten. Meist lässt sie sich nur mit einem individuellen Testament bzw. Erbvertrag regeln, denn es gibt kein spezielles Erbrecht für Patchworkfamilien. Die gesetzliche Erbfolge spiegelt hier in den seltensten Fällen die Anforderungen an die spezielle Situation und den Willen des Erblassers wider. Ebenso ist das sogenannte Berliner Testament vielfach nicht geeignet.

Im Folgenden stellen wir anhand einiger typischer Aspekte die Problemstellung beim Vererben in der Patchworkfamilie vor. In unserem Notarbüro beraten und unterstützen wir Sie gerne bei der Erstellung von Testament oder Erbvertrag.

Vererben in Patchworkfamilien

‍Die Nachlassregelung in Patchworkfamilien wird sehr schnell komplex. Zur Veranschaulichung nur ein Beispiel:

Anna und Martin sind verheiratet. Sie haben zwei Kinder: Enno und Sarah. Das Paar lässt sich scheiden, Martin heiratet erneut. Seine neue Partnerin Vera bringt ihren Sohn Paul aus erster Ehe mit. Vera und Martin bekommen anschließend noch ein weiteres gemeinsames Kind: Pascal.

Beim Vererben stellt sich nun die Frage, welches Kind erbt was. Erben die eigenen Kinder mehr als die angeheirateten? Bekommt Pascal womöglich alles, wenn seine Eltern sterben? Was bedeutet der Tod eines der Eheleute für die Ansprüche von Ehepartner, Stiefkindern, leiblichen Kindern und dem gemeinsamen Kind? Welche Folgen können Pflichtteilsansprüche der Kinder und Stiefkinder für den länger lebenden Ehepartner haben? Und kann unter Umständen auch die ehemalige Ehefrau Anna Einfluss auf das Erbe nehmen, wenn beispielsweise ihre leiblichen Kinder im Erbfall noch nicht volljährig sind und sie das Sorgerecht hat?

Sie sehen bereits an diesem Beispiel: Das Vererben in Patchworkfamilien kann eine komplizierte Angelegenheit sein. Eine gut durchdachte Nachlassplanung ist daher sehr wichtig. Sie bringt Ordnung in das Chaos.

Gibt es kein Testament, greift die gesetzliche Erbfolge. Diese ist meist nicht im Sinne des Erblassers. Sie kann zudem für die Hinterbliebenen schwerwiegende, ungewollte Konsequenzen haben.

Kein Pflichtteil für Stiefkinder ohne Adoption

Betrachten wir nun die Problematik der Pflichtteile etwas näher. Zuallererst ist hier wichtig zu wissen, dass mit Heirat die Stiefkinder nicht automatisch Erben des neuen Lebenspartners werden.

Solange keine Adoption erfolgt, unterscheidet das Erbrecht strikt zwischen leiblichen Kindern und Stiefkindern. Auch wenn das Familiengefühl noch so eng ist, erst mit der Adoption entstehen für die Stiefkinder Ansprüche auf Erb- und Pflichtteil.

Zur Veranschaulichung ein besonders drastisches Beispiel: Der länger lebende Ehepartner lebt mit den Kindern seines verstorbenen Partners in enger häuslicher Gemeinschaft als Familie. Er hat keine eigenen Kinder oder Verwandten. Ohne Adoption oder testamentarische Verfügung, besitzen die Stiefkinder in diesem Fall keinen Erbanspruch. Sein gesamtes Vermögen fällt im Todesfall an den Staat.

Die Adoption eines Stiefkindes in erbrechtlicher Hinsicht ist zumeist jedoch nur sinnvoll, wenn die eigenen (leiblichen) Kinder enterbt werden sollen. Mit der Adoption steigt die Zahl der gesetzlichen Erben, die Pflichtteilsquoten sinken. Geht es allein um den Übertrag des Vermögens im Erbfall, ist meist ein Testament oder Erbvertrag die einfachere und bessere Alternative.

Dies hat übrigens im Erbfall keine steuerlichen Auswirkungen. Das Erbschaftssteuerrecht folgt erstaunlicherweise nicht der Ungleichbehandlung im Erbrecht. Sowohl die eigenen Kinder als auch die Stiefkinder gehören zu den steuerlich begünstigten Personen in Steuerklasse 1 und verfügen über einen Steuerfreibetrag von 400.000 €.

Risiken von Pflichtteilansprüchen erkennen und regeln

Erfolgte eine Adoption der Stiefkinder, besitzen diese einen Anspruch auf ihren Pflichtteil, ebenso wie die eigenen leiblichen Kinder und ggf. gemeinsame Kinder aus der neuen Ehe.

Ungeachtet dessen, müssen die Eheleute nun die Entscheidung treffen, ob sie ihr Vermögen gemeinsam oder getrennt vererben möchten, und welche Kinder, über den gesetzlichen Pflichtteil hinaus, wieviel erben sollen.

Als Form zur Niederlegung des letzten Willens stehen zur Verfügung:

  • Jeweils ein Einzeltestament
  • Gemeinschaftliches Testament
  • Erbvertrag

Sollen alle Kinder zu gleichen Teilen bedacht werden, bietet sich beispielsweise ein gemeinschaftliches Ehegattentestament an, bei dem die Kinder als gleichberechtigte Erben eingesetzt werden.

Findet die Hochzeit in fortgeschrittenem Alter statt und gibt es bereits ältere Kinder aus früheren Ehen, besteht oftmals der Wunsch, die Erbansprüche individueller zu gestalten. Das Vermögen der neuen Partner soll zum Beispiel getrennt an die jeweils eigenen leiblichen Kinder fließen. Dies lässt sich einfacher in Einzeltestamenten festlegen.

Auch wenn die leiblichen Kinder als Haupterben eingesetzt werden, gilt es Einiges zu bedenken. Soll der länger lebende Partner dauerhaft abgesichert sein, muss dies ebenfalls geregelt und niedergeschrieben werden. Sonst kann es passieren, dass im Erbfall die gemeinsam genutzte Immobilie verkauft werden muss, um die Erbansprüche der Kinder zu erfüllen. Der länger lebende Partner verlöre also seine Bleibe.

Um dies zu verhindern, kann der Ehepartner als Vorerbe und die eigenen Kinder als Nacherben eingesetzt werden.

Alternativ können die Kinder auch direkt als Erben eingesetzt werden, für den Partner werden jedoch entsprechende Wohn- oder Nießbrauchrechte eingerichtet.

Pflichtteilsverzichtverträge: freiwilliger Verzicht auf das Pflichtteil

Wie Sie sehen, können die unterschiedlichen Pflichtteilsansprüche nach dem Tod eines der Eheleute schwerwiegende Konsequenzen auslösen. Um dies gänzlich auszuschließen, besteht auch die Möglichkeit eines Verzichts auf den Pflichtteil durch einen sogenannten Pflichtteilsverzichtvertrag. Dieser kann die gesamten gesetzlichen Erbansprüche, aber auch nur Teile davon betreffen. Der Pflichtteilverzichtsvertrag wird häufig mit der Zahlung einer Abfindung oder mit erbvertraglichen Zusagen verbunden.

Für den Verzicht auf Pflichtteile von minderjährigen Kindern ist der Pflichtteilverzichtvertrag in der Regel keine Option. Dieser bedarf nämlich einer familiengerichtlichen Genehmigung, welche aus haftungsrechtlichen Gründen im Allgemeinen nicht erteilt wird.

Die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments

Errichten die Ehepartner ein gemeinschaftliches Testament, so sollten auch entsprechende Vereinbarungen über dessen Bindungswirkung getroffen werden. Fehlen diese, so kann ein gemeinschaftliches Testament vom länger lebenden Partner nicht mehr nachträglich verändert werden. Wenn spätere Ereignisse eine Änderung des Testaments erforderlich machen, ist dies nicht mehr möglich.

Um das zu umgehen, können die Eheleute sich gegenseitig von der Bindungswirkung entheben. Auch dies will jedoch durchdacht und ggf. individuell geregelt sein. Durch eine uneingeschränkte Aufhebung der Bindungswirkung entsteht nämlich die Möglichkeit, dass der länger lebende Partner die leiblichen Kinder des Verstorbenen später enterben kann. Unter Umständen steht ihnen dann nicht einmal mehr ein Pflichtteil zu.

Fazit

Wie Sie sehen, ist das Vererben in Patchworkfamilien oftmals eine sehr komplexe Angelegenheit. Zur Festlegung des tatsächlichen letzten Willens der Erblasser kommen die unterschiedlichsten Ansprüche in Bezug auf Erb- und Pflichtteile. Eine frühzeitige und ausführliche Beschäftigung mit diesem Thema ist daher unerlässlich.

Gerne beraten Sie unsere Notarinnen hierzu und unterstützen Sie dabei, Ihren Nachlass durch ein Testament oder einen Erbvertrag rechtssicher zu regeln.

Hinweis: Nach der Beurkundung wird der Notar das Testament für Sie beim Nachlassgericht hinterlegen und beim Testamentsregister anmelden. Mit der notariellen Urkunde können die Erben im Erbfall schnell das Erbe antreten und durchsetzen.

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